Umgang mit innerem Widerstand


Wer kennt es nicht: Gewohnheiten, die man lange ablegen wollte, lange aufgeschobene Aufgaben und eine innere Zerrissenheit bei Dingen, die wir einerseits tun möchten, und andererseits nicht. Und als wäre das nicht schon unangenehm genug, haben wir nicht selten auch Urteile über uns selbst, wenn diese Dinge passieren. 

Hierzu folgende Annahmen:

  1. Ein „Nein“ bedeutet: Ein wichtiges Bedürfnis steht einem „Ja“ entgegen.
  2. Innere Widerstände sind ein „Nein“ auf eine Bitte an uns selbst.
  3. Auf ein „Nein“ einer anderen Person können wir genauso empathisch reagieren wie auf inneren Widerstand. Das schützt uns davor, es persönlich zu nehmen und macht uns handlungsfähig.

Das „Ja“ hinter dem „Nein“

Wenn eine andere Person auf eine Bitte von Dir mit „Nein“ antwortet, hat das nichts mit Dir zu tun. Es bedeutet lediglich, dass eines oder mehrere Bedürfnisse die andere Person daran hindern, „Ja“ zu sagen. Es liegt an uns, unsere Aufmerksamkeit entweder auf unsere Gedanken über dieses „Nein“ (z. B. „Ich bin nicht wichtig.“, „Die Person sollte ja sagen.“, „Ich habe schon so viel getan, jetzt wäre es nur richtig, wenn die Person ja sagen würde.“ etc.) oder das Bedürfnis zu richten, das einem „Ja“ entgegensteht. Ersteres ist Treibstoff für Ärger, Ohnmacht und schlimmstenfalls Depression, letzteres für Verbindung und Handlungsfähigkeit. Noch drastischer wird es, wenn wir das „Nein“ übergehen und seelische bzw. körperliche Grenzen der anderen Person überschreiten.

Das „Nein“ eines inneren Anteils

Ganz ähnlich verhält es sich, wenn Du ein „Nein“ in Dir wahrnimmst. Der einzige Unterschied: Dieses „Nein“ stammt nicht von einer anderen Person, sondern von einem inneren Anteil. Alle anderen Konsequenzen bleiben meines Erachtens gleich: Richtest Du Deine Aufmerksamkeit auf Deine Selbsturteile zu diesem Nein (z. B. „Ich sollte das jetzt aber wirklich tun.“, „Ich bin einfach zu undiszipliniert.“ etc.), wird Dich das in Richtung Ärger und Depression lenken. Findest Du das Bedürfnis, das Deinen inneren Anteil an einem „Ja“ hindert, wirst Du höchstwahrscheinlich Erleichterung, innere Offenheit und Kooperation erleben, die Dich handlungsfähiger werden lassen. Auch im Umgang mit uns selbst besteht die Gefahr, den inneren Widerstand zu übergehen und uns selbst gegenüber grenzüberschreitend zu agieren.

Selbstmitgefühl mit dem inneren Widerstand

Dein innerer Anteil schützt mit seinem „Nein“ ein wichtiges Bedürfnis von Dir. Gerade dann, wenn es ein wichtiges Bedürfnis ist, wird Dein Anteil möglicherweise zu drastischen Mitteln (=Gedanken, Handlungsimpulsen) greifen, die es Dir besonders schwer machen, dieses Bedürfnis zu erkennen. Möglicherweise wird das „Nein“ Deines Anteils bei Dir Schmerz oder ebenfalls Widerstand auslösen. Bevor Du Dich also empathisch Deinem inneren Anteil zuwenden kannst, wirst Du selbst Empathie benötigen (genau wie mit einer anderen Person). Und möglicherweise wirst Du bei diesem Prozess Unterstützung benötigen, um Dir selbst mit Mitgefühl begegnen zu können.

Um dies üben zu können, habe ich eine Übung für insgesamt drei Personen zusammengestellt, die es erleichtern soll, Deinem inneren Widerstand schrittweise und mit empathischer Begleitung zu begegnen. Viel Erfolg beim Ausprobieren – lass mich gerne wissen, welche Erfahrungen Du damit gemacht hast.

Übung: Liebevoll mit innerem Widerstand umgehen

Informationen zur Übung

  • Übung für drei Personen (Dauer pro Durchgang ca. 25—40 Minuten)
  • Person A: Bringt Situation ein, in der sie inneren Widerstand erlebt hat.
  • Person B: Verkörpert inneren Anteil von Person A mit Widerstand.
  • Person C: Führt durch den Prozess, macht Notizen, gibt ggf. Empathie.

Ablauf der Übung

Schritt 1: Situation in Beobachtungssprache klären

  • Um welche Situation im Außen geht es?
  • Die Bitte an mich identifizieren: Was hast Du Dir selbst gesagt, um Dich z. B. auf eine Arbeit mit inneren Anteilen einzustimmen? (z. B.: „Ich gehe jetzt joggen.“, „Ich rufe heute Abend meinen Vater an.“ etc. )
    Notiere einen präzisen Satz.
  • Auslöser identifizieren: Welche Gedanken sind Dir als Widerstand begegnet? (z. B. „Auf gar keinen Fall!“, „Der sollte uns auch mal wieder anrufen!“, „Das bringt doch eh nichts!“ etc.)
    Notiere alle Gedanken und suche denjenigen, der die meiste Kraft hat.

2 Empathie für Dich

  • Auf Zeichen sagt Person B den Auslöser – so oft und in dem Ausdruck, den Person A sich wünscht.
  • Person A spürt: Welche Körperwahrnehmungen zeigen sich? Welche Gedanken und Handlungsimpulse tauchen auf? Wie fühlt es sich an, den Auslöser zu hören? (Ggf. wiederholen)
  • Person A identifiziert ihr Bedürfnis in der Situation und verbindet sich damit mit dem Satz „Ich brauche …“ / „Ich sehne mich nach …“ / „Ich bin …“ etc.
  • Die Schritte a—c werden so lange wiederholt, bis sich bei Person A Entspannung einstellt. Zur Überprüfung dienen die 8 Eigenschaften von Selbst-Energie (Neugier, Ruhe, Selbstvertrauen, Mitgefühl, Kreativität, Klarheit, Mut, Verbundenheit).

3 Empathie für den Anteil

  • Person A erforscht den Anteil und fragt ggf. Person B um Hilfe. Person C notiert:
    • Was möchte der Teil Dir mitteilen?
    • Worauf passt er auf? Wovor möchte er Dich beschützen?
    • Was glaubt er, würde passieren, wenn er nicht auf diese Art handeln würde?
    • Ist der Anteil offen für Veränderungen?
  • Für welche Bedürfnisse setzt sich dieser Anteil ein? Hat er damit Erfolg? Wie fühlt er sich dabei?
  • Person A und B finden gemeinsam heraus, ob der Anteil verstanden wurde.

4 Verhandlung mit dem Anteil

Gehen wir davon aus, dass der Auslöser aus 1c ein „Nein“ auf eine Bitte an uns selbst darstellt, ergeben sich viele Möglichkeiten, mit diesem Nein umzugehen. Mit Unterstützung von B und C ist Person A nun eingeladen, einen möglichen Umgang mit diesem „Nein“ zu erforschen. Welche Variante passt für dich? Was wollt ihr vereinbaren? Hier gibt es verschiedene Anregungen:

Möglichkeiten, mit einem „Nein“ auf eine Bitte umzugehen

(nach Gerlinde R. Fritsch)

  1. Verständnis überprüfen: Was genau hat mein Gegenüber verstanden?
  2. Forderung auflösen: „Wie kann ich sagen, was ich gerne hätte, ohne dass es wie eine Forderung bei Dir ankommt?“
  3. Das Herz des Gegenübers berühren: Was bedeutet die Bitte für mich (Bedürfnis)?
  4. Beharrlich sein, wenn das Bedürfnis sehr stark ist: Giraffenschrei (Kraftvoll ausdrücken, wie ich behandelt werden möchte).
  5. Strategien verhandeln: „Unter welchen Bedingungen könntest Du ja sagen?“
  6. Vertagen: Bitte zu einem anderen Zeitpunkt äußern.
  7. Empathie: Das Ja hinter dem Nein des Gegenübers suchen.
  8. Win-Win: Strategie zur Erfüllung der Bedürfnisse beider Parteien finden.
  9. Strategiewechsel: Andere Strategie zur Erfüllung meines Bedürfnisses finden.
  10. Trauern/Bedauern: Den Schmerz fühlen, um von Ohnmacht zurück zu Selbstwirksamkeit zu gelangen.
  11. Zurück zur Fülle: Mich mit der lebendigen Energie des Bedürfnisses verbinden.
  12. Selbstermächtigung: Informieren, was ich zum Schutz meines Bedürfnisses tun werde.
  13. Unversehrtheit wahren: Schützender Gebrauch von Macht-Über.

5 Abschluss

Danke Deinem Anteil für sein Vertrauen. A, B und C teilen kurz, wie es ihnen am Ende dieser Erforschung geht.


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